Call for Papers

Heft 74: WUT

In dem niederländischen Film Die Stille um Christine M., (A question of Silence; De stilte rond Christine M.) von Marleen Gorris aus dem Jahr 1982 bringen drei Frauen, die sich vorher nicht kannten, den Ladenbesitzer um, der zuvor eine von ihnen des Diebstahls überführt hatte. Ihre Wut kennt kein Einlenken, artikuliert sich vor Gericht in Schweigen und Lachen. Es ist eine Haltung der Verweigerung, des Sitzenbleibens, des konsequenten Nicht-Einverstanden-Seins. Jack Halberstam hat mit Rekurs auf die Radikalfeministinnen der 1970er Jahre (Valerie Solanas, u.a.) dem Feminismus diese Haltung unversöhnlicher WUT zuletzt wieder anempfohlen: »Wenn wir uns auf die feministischen Fantasien der 1970er Jahre über eine anarchistische Rebellion zurückbesinnen, die sich dem gewaltsamen Aufstand verschrieben hat und sich in einer gewaltsamen Konfrontation mit sexueller Gewalt und Übergriffen engagiert, werden wir […] uns mit der Frage der Gewalt auseinandersetzen müssen.«1 Feminismus ist, so deutet sich hier an, eine Wutbewegung. Ohne WUT geht es nicht. 

Die Ausgabe 74 von Frauen und Film widmet sich diesem politisch wertvollen Affekt. Bevor es um sein Containment, die Einhegung und Kanalisierung der Wut geht, wie es das wunderbare, verletzliche Orakel der Sickness Affinity Group ironisch anregt (Frage: »Wie gehe ich besser mit Wut auf Institutionen und auf ableistische Handlungsweisen um?« Antwort: »Anfangen, sich Gehör zu verschaffen und die Institutionen, vor allem die Leitungsfunktionen, anzuschreiben.«2) bleiben wir mit dieser Ausgabe beim Schweizerdeutschen Hässig! und fragen nach Filmen der WUT, Filmtheorien der WUT, Bildern der WUT, Manifestationen der WUT.

Als Filmemacherin und Autorin hat Virginie Despentes mit Baise Moi! im Jahr 2000 die Bilder-Sozialisation in Sachen WUT von der Ebene der Darstellung auf die Ebene der wütenden Bilder geholt und neu aufgelegt bevor es #metoo gab. Die Theorie zu ihrem Film folgt selbst einer Wutpoetik: »Ich schreibe aus der Ecke der Hässlichen für die Hässlichen, die Alten, die Bulli-Fahrerinnen, die Frigiden, die schlecht Gefickten, die Unfickbaren, die Hysterischen, die Durchgeknallten, kurz für all die, die auf dem Markt für Fegerscharfe nichts verloren haben.«3

Despentes greift damit auf Wutreden zurück, die die feministische Bewegung lange begleitet und auch nach innen herausgefordert haben. Nicht alle WUT ist gleich, unterschiedliche Unterdrückungserfahrungen erzeugen unterschiedliche WUT. In den 1970er Jahren rufen etwa Frauen aus der Perspektive der dis/ability: »›Heraus aus dem Getto‹, das ist der Wutschrei derer, die den ihnen vom System zugewiesenen Platz nicht annehmen. […] Sie haben uns die Freiheit genommen und das Leben, aber nicht die Wut! Die Wut können sie uns nicht nehmen, im Gegenteil, sie wird von Tag zu Tag größer und wir übertragen sie auf andere. Unsere Wut läßt sich nicht kaufen!«4 

Audre Lorde spricht vier Jahre später, 1981, zu weissen Feministinnen: »I have suckled the wolf’s lip of anger and I have used it for illumination, laughter, protection, fire in places where there was no light, no food, no sisters, no quarter.«5 Wut spendet hier Trost und schafft Handlungsfähigkeit in hoffnungslosen Situationen. Zehn Jahre später lutscht auch das Riot Grrrl Manifest* am Nippel der Wölfin: »WEIL wir wütend sind auf eine gesellschaft, die uns sagt, mädchen = blöd, mädchen = böse, mädchen = schwach. WEIL wir es nicht zulassen, dass unsere echte und berechtigte wut verpufft und/oder über die internalisierung von sexismus, wie wir sie in der rivalisierung von mädchen oder in ihrem selbstzerstörerischen verhalten sehen, gegen uns gerichtet wird.«6

Was sich durchzieht in Sachen WUT, ist das Nicht-Gehört-Werden in Partner:innenschaften, Gruppen, Institutionen, politischen Bewegungen. Was empört, ist Ohnmacht und Fassungslosigkeit angesichts von Autokratisierung und Repatriarchalisierung. Was uns ebenfalls plausibel erscheint: das Umschlagen dieser Erfahrungen in Kraft, Energie und Widerstand. In diesem Sinne wollen wir fragen: Was macht euch wütend? Was bedeutet WUT für euch in Film und Filmtheorie? Welche Indikatoren gibt es ästhetisch für WUT? Ist sie militant, aggressiv, zerstörerisch z.B. in Bezug auf das Filmmaterial?

»Every woman has a well-stocked arsenal of anger potentially useful against those oppressions, personal and institutional, which brought that anger into being. Focused with precision it can become a powerful source of energy serving progress and change.«7

Einsendungen von Vorschlägen (Abstracts von ca. einer Seite, mit kurzer Bio) bis zum 01.09.2025 an Caroline Schöbi (caroline.schoebi@fiwi.uzh.ch), Linda Waack (linda.waack@uzh.ch) und Seraina Winzeler (seraina.winzeler@cinematheque.ch).

Länge der Beiträge: max. ca. 40.000 Zeichen, aber auch kürzere Texte jeglicher Form bzw. Fotostrecken sind willkommen.

Abgabetermin der Manuskripte ist der 01.02.2026. Die Ausgabe erscheint im Spätsommer 2026.

1 Jack Halberstam: »Feminist Dereliction«, Vorlesungsreihe #metoo und nun?, 9/5/2025, Universität Zürich.

2 Sickness Affinity Group: »In Liebe, das erschöpfte, mitfühlende Orakel…«, in: Crip Magazine, #4, 2021, S.9.

3 Virginie Despentes: »King Kong Theorie«, Berlin Verlag 2007.

4 erziehung heute, Dez. 1977, zit. nach: Crip Magazine, #2, S. 33.

5 Audre Lorde: »The Uses of Anger. Women Responding to Racism«, in: Dies.: Sister Outsider, Crossing Press Berkeley 1984, S. 133.

6 Kathleen Hannah/ Kill Bikini: »Riot Grrrl Manifest 1992«, in: Anette Baldauf/Katharina Weingartner (Hg.): Lips. Hits. Tits. Power? Popkultur und Feminismus, Wien: Folio 1998, S. 106f. [Orig. 1992].

7 Lorde: »Sister Outsider«, S. 127.